Prinzip der »strict liability«
Bisher galt in sportgerichtlichen Verfahren bei Doping-Vergehen das Prinzip der „strict liability“. Dieses Prinzip der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) besagt, dass ein Sportler oder eine Sportlerin mit einem positiven Dopingtest automatisch auch eines Dopingvergehens schuldig ist. Liefert ein Test auffällige Werte, ist der Nachweis einer Täuschungs- bzw. Dopingabsicht nicht notwendig.
Die Möglichkeit, die eigene Unschuld zu beweisen ist nur unter strengen Bedingungen überhaupt möglich.
Diese Form der verschuldensunabhängigen Haftung entbindet die Gerichte vom Nachweis der (bewussten) Einnahme verbotener Substanzen und folgt dem Grundsatz, dass Athleten für die eigenen Körperwerte verantwortlich sind.
Recherche der ARD bringt neue Erkenntnisse
Eine Recherche der ARD in Zusammenarbeit mit dem Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln namens „Geheimsache Doping: Schuldig – Wie Sportler ungewollt zu Dopern werden können“ bringt dieses Prinzip nun ins Wanken. In der Dokumentation werden bei einem Test zwölf Teilnehmenden durch flüchtige Berührungen an der Hautoberfläche verschiedene Anabolika verabreicht.
In allen Fällen wiesen die Urinproben der Teilnehmenden danach auffällige Werte auf, die für einen positiven Dopingtest ausreichend gewesen wären.
Diese neuen Erkenntnisse zeigen auf, dass im Bereich Doping große Anfälligkeit für Sabotage und das vorsätzliche Hervorrufen von positiven Dopingtests besteht.
Dabei kann die Bandbreite von den oben beschriebenen Berührungen im Vorbeigehen bis hin zum Servieren von kontaminiertem Essen reichen. In der streng umkämpften Sportwelt sind die Möglichkeiten solcher Eingriffe vielfältig und ein umfassender Schutz dagegen kaum möglich.
Vor diesem Hintergrund scheint es schwer vertretbar, das bisherige Prinzip der „strict liability“ beizubehalten. Eine Nicht-Einnahme von Dopingmitteln nachzuweisen oder dass eine Sabotage erfolgt ist, ist nahezu unmöglich.
Welche Konsequenzen hat das für den Anti-Doping-Kampf?
Die Frage ist, welche Konsequenzen diese Recherche nach sich ziehen wird. Würde ein positiver Dopingbefund nur noch als Indiz gewertet und Gerichte müssten Sportlerinnen und Sportlern die Einnahme der verbotenen Substanzen nachweisen, hätte dies große Auswirkungen auf den Anti-Doping-Kampf. Ein Erwischen auf frischer Tat wäre dann fast die einzige Möglichkeit, um überhaupt einen Verstoß zu beweisen.
Die WADA reagierte zunächst zurückhaltend auf die Recherche. Die Möglichkeiten der Manipulation und Sabotage seien bekannt, würden aber „als ein sehr seltenes Ereignis betrachtet, basierend auf der geringen Anzahl solcher Fälle, die in der Vergangenheit aufgetreten sind“.
Unabhängig von der Einschätzung der WADA dürfte es jedoch nicht lange dauern, bis sich Gerichte mit diesen Beweisfragen beschäftigen werden.
Alleine die in der Recherche aufgezeigte sehr einfache Durchführbarkeit solcher Sabotagen oder „Doping-Anschläge“ dürften ein starkes Argument sein, die bisher geltenden Beweislastregeln zu überdenken.