Aktuell ist das Transferfenster geöffnet. Es wird spekuliert, verhandelt und bereits jetzt wird versucht das ein oder andere lukrative Geschäft für den Sommer abzuschließen. Denn im Sommer laufen bei einigen internationalen Leistungsträgern die Verträge aus, sodass ein Spieler ohne die Zahlung einer Transferentschädigung an den abgebenden Verein verpflichtet werden kann. So wird nach derzeitigem Stand auch David Alaba seinen im Sommer 2021 auslaufenden Vertrag beim FC Bayern München nicht verlängern und den Verein verlassen, ohne dass der Rekordmeister eine Transferentschädigung erhält. Doch was heute nach Verhandlungsgeschick des Beraters oder des Spielers zwecks Unterschriftsprämie aussieht, war vor dem Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 05.12.1995 undenkbar.
Hintergrund des Bosman-Urteils
Jean-Marc Bosman spielte 1990 beim RFC Liege in Belgien. Nach dem Ende seines Vertrags bot der Verein ihm eine Verlängerung des Vertrags an. Bosman lehnte den Vertrag ab und beabsichtigte, in die zweite französische Liga zu USL Dunkerque zu wechseln. RFC Liege verlangte gemäß des damaligen Verbandsrechts, ungeachtet der Tatsache, dass der Arbeitsvertrag endete, eine Transferentschädigung in Höhe des 400-fachen des angebotenen Monatsgehalts.
Nach dem damaligen Recht konnten Vereine auch nach Ende der Vertragslaufzeit noch eine Transferentschädigung verlangen. Somit hing ein Transfer selbst nach Vertragsende von der Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit des aufnehmenden Vereins ab. Die Spieler liefen Gefahr arbeitslos zu werden, sofern kein Verein bereit war die Ablöse zu zahlen.
Da sich die Vereine im Fall Bosman nicht einigen konnten, wurde der Spieler zunächst arbeitslos. Bosman sah sich in seinem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 39 EGV (heute Art. 45 AUEV) verletzt und klagte gegen seinen ehemaligen Verein sowie den belgischen Fußballverband.
EuGH: Forderung einer Transferentschädigung nach Ende der Vertragslaufzeit ist rechtswidrig stellt einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV dar
Im Bosman-Urteil entschied der EuGH, dass ein Spieler nach Ende der Vertragslaufzeit ablösefrei zu einem neuen Verein wechseln darf. Eine etwaige Forderung einer Transferentschädigung nach Ende der Vertragslaufzeit wurde als rechtswidrig beurteilt und stelle einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV bzw. Art. 45 AEUV) dar.
Das Urteil hatte weitreichende Auswirkungen und revolutionierte den Transfermarkt.
Auch national wurde durch das Berliner Landesarbeitsgericht ein vergleichbarer Fall entschieden. Im Fall Jürgen Baake, in dem eine zu hohe festgeschriebene Ablöse nach Vertragslaufzeit einer neuen Beschäftigung des Profis im Wege stand und er infolgedessen arbeitslos wurde, wurde deutlich, wie sehr die frühere Regelung hinsichtlich der Transferentschädigung trotz des Vertragsablaufs in die Grundrechte eingriff. Die Macht der Vereine war in dieser Konstellation unverhältnismäßig groß. Aus diesem Grund wurden derartige Regelungen gemäß § 134 BGB als sittenwidrig beurteilt.
Wird ein Sportler als Arbeitnehmer qualifiziert, hat dies zur Folge, dass die arbeitsrechtlichen Besonderheiten Anwendung finden. Der Sportler als Arbeitnehmer ist sozial schutzwürdig und genießt besonderen Grundrechtsschutz. So wird durch den Arbeitnehmerstatus des Sportlers der ausgeübte Sport als „Beruf“ von der Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 GG geschützt. Ebenso ist der Sportler als Arbeitnehmer durch die europäische Grundrechtecharta geschützt und genießt besondere Rechte (beispielsweise die von Bosman geltend gemachte Arbeitnehmerfreizügigkeit).
Daher verstieß die Forderung einer Ablöse nach Vertragslaufzeit national gegen die Berufsausübungsfreiheit des Grundgesetzes, da allein die Zahlungsbereitschaft des aufnehmenden Vereins ausschlaggebend war, ob ein Spieler seiner Lebensgrundlage (seinem Beruf als Sportler) weiter nachgehen konnte oder ob er arbeitslos wurde.
Folgen des Bosman-Urteils für den internationalen Fußball und den Transfermarkt
Zunächst hatte das Urteil jedoch die Folge, dass die Vereine ihre Spieler mit langfristigen Zeitverträgen ausstatteten, um sich bei einem Wechsel die Möglichkeit auf einen Transfererlös zu sichern. Die Spieler spürten daher zunächst keine Besserung der Verhältnisse. Sie standen aufgrund der kurzen sportlichen Karriere unter Kontrahierungszwang und mussten sich den nicht vorzeitig kündbaren Langzeitverträgen unterwerfen. Erst im Rahmen des Brüsseler Friedens vom 05.03.2001 wurde die Höchstlaufzeit der Verträge auf fünf Jahre begrenzt. Als Anreiz der Vereine zur Ausbildung junger Spieler wurde im Gegenzug eine Ausbildungsentschädigung bei einem Transfer eines jungen Spielers (bis zum 23. Lebensjahr) beschlossen.
Zudem wird das Bosman-Urteil für die Explosion der Spielergehälter verantwortlich gemacht. Die Verhandlungsmacht habe sich zu Gunsten der Spieler verschoben. Sie hätten nach Vertragsende die Möglichkeit, zwischen mehreren Angeboten zu wählen und seien damit in der Lage, eine höhere Vergütung zu verlangen. Gerade medial kursieren – wie im Fall David Alaba – Zahlen über (angebliche) Gehaltsforderungen, die – insbesondere während der derzeitigen Covid-19 Pandemie und wirtschaftlichen Situation – auf Unverständnis stoßen.
Doch diese Einschätzung greift zu kurz. Das Bosman-Urteil und die Verschiebung der Verhandlungsmacht sind nicht allein für die ansteigenden Spielergehälter verantwortlich. Vielmehr hängt diese Erhöhung der Gehälter (zumindest auch) mit der Mitte der 1990er Jahre einsetzenden Steigerung der Vermarktung des Fußballs zusammen. Die Ausschüttung von TV-Geldern in Millionenhöhe verdeutlicht, wie rasant sich das Marktvolumen des gesamten Fußballs vergrößert hat.